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Snackbare Konsumkritik

Snackbare Konsumkritik
Fabian Stark (*1991) ist Redakteur des TONIC Magazins und volontiert beim Mitteldeutschen Rundfunk. Außerdem betreibt er die bürgerliche Punkband Ente Kross.
Kladde 13.08.2019
Snackbare Gedanken zum Thema Konsum, aufgefangen auf dem Fuchsbau Festival.

Soldatisch wiegen die Mütter ihre Kinder hin und her. „Du solltest auch eins kriegen, dann wäre dein Narzissmus passé“, sagt die eine zum melancholischen Mädchen* und kann damit nur sich selbst meinen. Das melancholische Mädchen saugt am Strohhalm. Die Eltern konsumieren ihre Kinder.
*im sehr sehenswerten, gar nicht beklemmenden Film von Susanne Heinrich

Trickle-Down-Effekt, der.
„Champagne“ bezeichnet im Englischen jeden X-beliebigen Schaumwein. Und auch praktisch klappt’s: Wer 1,99-Euro-Prosecco kippt, kann dabei Dekadenz leben – ganz ohne weitere Anstrengungen oder Verpflichtungen.
Ehemalige Luxusgüter tropfen zu unteren Einkommensschichten hinunter. Wie einmal das Lachsfilet oder das Mobiltelefon. Autos von Tesla sind jetzt schon Mittelschicht. Die Frage ist, wie weit unten nix mehr tropfen kann.
Auch Trickle-Down-Effekt, nach Gablers Wirtschaftslexikon: „Durchsickern des Einkommenswachstums von oben nach unten. Einkommenszuwächse der Reichen laufen den Einkommenszuwächsen der Ärmeren in der Gesellschaft zeitlich voraus und sind deren Voraussetzung.“ Gilt mittlerweile – empirisch gesehen – als neoliberaler Schwachsinn. Wird aber in Form von Steuerpolitik nach wie vor durchgesetzt.

Geplante Obsoleszenz: bekannt von Druckerpatronen und Nassrasierern. Das Produkt soll gar nicht halten. Ersatzteile sind teuer, mit voller Absicht. Das Superfest-Glas der VEB Sachsenglas Schwepnitz wurde abgewickelt. Im Kapitalismus kein Bedarf für Unkaputtbares.
Bei Essen komplizierter: Gemüse verdirbt von Natur wegen, andere Lebensmittel werben mit ihrer langen Haltbarkeit (Cocktailkirschen, Tiefkühlware). In wenigen Jahren soll eine App statt Mindesthaltbarkeit das dynamische Haltbarkeitsdatum errechnen, gegen Verschwendung. Eat fresh!
Es könnte ein Gesetz geben, das Unternehmen verpflichtet, ihre Produkte auf Langlebigkeit auszurichten. Gibt es aber nicht.
Konsumistische Poesie:
Sollbruchstelle –
Meiner Lust
Bist du die Quelle.

Den Ausbildungsberuf des Schaufenster-Dekorateurs (eigentlich: Schauwerbegestalter) gibt es so nicht mehr. Seit 2004 heißt der Beruf „Gestalter*in für visuelles Marketing“. Si*er richtet nicht nur das Schaufenster ein , sondern organisiert auch Kundenforen und misst den Erfolg. Banal darauf hinzuweisen, dass sich die wichtigen Schaufenster ins Netz verlagert haben. Viele Schaufenster in Innenstädten vermitteln mehr die reine Ästhetik von Kaufhäusern und Marken, anstatt deren Waren feilzubieten.
Werbung war mal ein als sachliche Information getarntes Versprechen: Kauf dich glücklich!
Als sich 1964 die Stiftung Warentest gründete, bäumte sich die Industrie auf – schließlich wurde ihr die Deutungshoheit über die Qualität ihrer Produkte genommen. Die Stiftung löste das Glücksversprechen nie auf (s.a. Verblendungszusammenhang). Sondern versuchte es nur in Zahlen zu fassen. Zu rationalisieren.
Erlebniskonsum, der Flashback zum Gefühligen. Heute ist es weniger das Produkt sich, womit sich Konsument*innen das Glück einverleiben können. Stattdessen wollen Firmen heute Communitys schaffen. Bindungen, Familie. Sie schaffen Abteilungen für CRM: Customer Relationship Management. Der Einkauf selbst soll zum Abenteuer werden. Zum Abenteuer, das nie ganz abreißt, das sich immer im selben Kosmos bewegt.
Liste berühmte Schaufensterdekorateure:
Andy Warhol
Bela B.
…

„Als ich mal viel Geld hatte, bin ich sofort losgeschossen und habe meinen ersten Farbfernseher gekauft. Die Werbung für den ‚strahlenden Möbelglanz’ in schwarzweiß machte mich verrückt. Ich dachte, wenn ich die Werbung in Farbe sähe, würde vielleicht alles neu aussehen und ich bekäme wieder mehr Lust zum Einkaufen.“ – Andy Warhol

„Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht.“ – Max Horheimer, Theodor W. Adorno
Was Adorno vergaß.*
Konsum zeigt uns nicht den Weg zu uns selbst. Yep.
Aber.
Das Problem sind nicht die Waren. Dass sie uns nicht zum höheren Selbst führen können.
Sondern dass wirüberhaupt denken, das wahre, höhere Selbst schwirrt da irgendwie rum.
Aber da ist nichts.
Ist aber auch nicht so schlimm.
Einkaufen, Fressen, Träumen machen uns denkbar. Als Individuen und als Kollektive. Auf viele Weisen, kreuz und quer und gleichzeitig.
Konsum schafft Identitäten. Verzicht auch.
*Nicht alles von Adorno gelesen. Offen gesagt: kaum etwas. Bitte berichtigen.