TAXI

TAXI

Über die Autorin

Cemile Sahin ist Künstlerin und lebt in Berlin. Ihre Arbeiten bewegen sich zwischen Film, Skulptur, Sound und Text. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie und wo Geschichte entsteht und dargestellt wird. Im September erscheint ihr erster Roman „TAXI“ im Korbinian Verlag.

Textauszug

Eigentlich war es noch nicht so spät gewesen. War langsam. Eine Schnecke unter ihrer Schleimspur. Bin hoch in die Wohnung, Haare fettig, Haare dicksträhnig, fielen mir vom Kopf, aus dem 5.Stock. 99 Treppen hinunter. Flur (hässlich). Bad (hässlich). Flur (hässlich). Küche (anmaßend). Flur (hässlich). Zimmer (grell). Zimmer (hässlich). Zimmer (egal). Flur (hässlich). Ging ins Wohnzimmer. Stand da, habe den Fernseher eingeschaltet. Seit Jahren weiß ich, dass in dem Zimmer (hässlich) ein Mann (wie das Zimmer) sitzt, der nicht rauskommt. Ich bin kein Mann, ich bin eine Andere. Ich bin eine Zuschauerin, frei von Sorge.

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Immer saß er in diesem Zimmer und ich saß nebenan. Aber ich kannte seine Ungeduld, die ich vernahm, wenn mein Smartphone vibrierte. Facetime-Anruf. Ohne jemals darüber geredet zu haben, beschlossen wir,uns eben auf diese Art zu verständigen. Das war ja das Schöne, der Trick, gewesen: ich konnte reden ohne zu sprechen. Und er sprach weder mit mir, noch mit jemand Anderem, das wusste ich genau, denn er war gehetzt ohne schlechtes Gewissen. Ich kannte seine Absicht. Seit 28 Jahren ging das so. Morgens verließ ich das Haus und seine Tür war verschlossen, aber er war noch drinnen. Wenn ich Abends wieder kam war die Tür die selbe Tür, verschlossen, und ich wusste nicht mehr, ob er drinnen war oder nicht. Mit einer flachen Hand klopfte ich abends zweimal gegen die Tür und rief, lauter als gewöhnlich: Ich bin jetzt da. Er klopfte meistens von der anderen Seite gegen die Tür und wir waren sicher. Einmal habe ich gesagt: Ich verlasse dich. Genau, ich wusste, wie sein Gelächter klingt.

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Der einzige Strohhalm zwischen uns war das Smartphone. Er saß gebückt davor, jeden Abend, wenn ich ihn durch das Schlüsselloch beobachtete. Seinen Kopf konnte ich nicht sehen. Hände und Arme auch nicht, nur den Rücken, gekrümmt war er, als würde er schwimmen, aber ich konnte nicht begreifen, was er auslässt, aber er, ich war am Tauchen, er entgegengesetzt, und ich glitt über ihm umher, ficken ging nicht, er tauchte weiter, dass es ihm die Hand hinunter lief als sei es eine Schamlippe. Meine Schamlippe war so alt wie ich, das war das Einzige, denn ich hatte zwei von ihnen. Und das Handy war sein Walross, dass er sich unter Wasser zu eigen machte, aber er sah bloß meinen Unterarm, weil ich, mit Haut und Haar, am Loch hing und das Telefon irgendwo an mir, wässrig, baumelte. Manchmal wollte ich die Tür eintreten. Jahre vergingen und störten und ich gaffte immer noch hindurch, um sicher zu sein, dass er noch am Leben war. Ich wurde immer fetter. Er wahrscheinlich auch. Ab und zu schickte er mir ein Bild von meinem Auge. Er rief mich an und holte aus der Schublade seines Schreibtisches (weiß, auch hässlich) einen Stapel Bilder, die er mir nacheinander präsentierte. Das waren belanglose Bilder für mich. Ein Hochhaus. Ein Denkmal. Hier und da ein paar Möbelstücke. Er mochte dieses Spiel. Er wurde vom Verratenen zum Verräter.

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Manchmal, wenn er faul war, holte er sein anderes Handy aus der Hosentasche (das war neu und ohne Kratzer) und wischte mit seinem dicken, runden Finger durch die Bilder. Wenn ich STOP rief, ließ er seinen Swipe Finger auf dem Display ruhen. SWIPE. SWIPE. STOP. SWIPE. STOP. So einfach waren wir. Nicht der Rede wert. Ich erzählte Niemanden wie alt ich bin. Nicht, dass ich eitel war – aber mit ihm vergaß ich die Zeit. Er rief mich an. Und ich ging ran. Ich sagte: Schön dich zu sehen – aber ich sprach mit dem Display, frei von Flecken. Jeden Tag wechselte Er sein Aussehen und mit jedem Bild ekelte mich das, was er mir zeigte, doch ich konnte nichts erkennen. Er war von manipulativer Natur. Er wollte mein Mitleid alleine für sich… Ich lachte: HAHAHAHA. Dann hörte ich auf. Das gab mir keine Genugtuung. Er lachte nicht mit dem Mund, er lachte mit einem Eichhörnchenbild. Das sah ich vor mir, das wischte Er zwischen uns ins Getümmel. Es fehlte ein Mann, der es leid war, er selber zu sein. Denn Er war voll von sich. Wie war das passiert? Dann weiß ich nicht mehr, wann es war. Entweder stank Er oder ich. Oder doch nur die ganze Wohnung. Eines Morgens war es zu Ende. Ein Mob von Uniformierten stürmte herein. Hab Sie gerufen. Mit der Klingel. Ein paar Leute im Spätsommer. Sagten, Sie suchen mich. Ich fragte: Wen? Ihn oder mich? Sie sagten: Sie! – und ich begriff immer noch nicht wen sie meinten. Sie rammten die Tür ein und ich stand daneben. Ihre Gewalt war warm, Schritt für Schritt. Sie hielten mich gepackt, Kopf zuerst und ich zappelte mühelos 5 Zentimeter über dem Boden, den ich immer noch hässlich fand. Ich verstand die Frage nach dem Geschehen nicht, auch als ich gefragt wurde. Was war passiert? Er war verschwunden. Ein Mann war gegangen. Ein Anderer kam. Aber er kannte doch nur die Hochhausbilder, seine Mutter und seinen Vater, liebes Kind. Ins Auto zerrten sie mich, weiß, ich kannte es, ja die Luft bleib mir weg, immer hatte ich Angst vor ihnen. Toros hatte mich und packte mich. Dann fuhren wir weg und ich sah ihn nie wieder. Es klappt wirklich nicht zwischen denen, die im Streit auseinander gehen, erzählte ich dem Einen neben mir. Das habe ich gelernt. Er nickte.

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Text und Bild: Cemile Sahin
Erschienen in: Das WETTER #16 zu bestellen unter www.wetteristimmer.de